Berliner Stadienmodell
von Reinhard Fuchs
Das Berliner Stadien-Modell (BSM) gründet einerseits auf Vorstellungen des Transtheoretischen Modells (Prochaska & DiClemente, 1993) und andererseits auf den handlungstheoretischen Konzepten des Rubikonmodells (Heckhausen, 1989; Gollwitzer, 1996). Das BSM unterscheidet acht distinkte Handlungsstadien, zwei davon sind prädezisionaler, die restlichen sechs postdezisionaler Natur (vgl. Abbildung).
Im Stadium der Präkontemplation wird – ganz im Sinne von Prochaska und DiClemente – kein Sport getrieben und auch nicht ernsthaft über das Sporttreiben nachgedacht. Im Unterschied dazu befassen sich Personen auf der Stufe der Kontemplation bereits tiefer gehend mit der Vorstellung, eventuell selbst sportlich aktiv zu werden. Anders als im Transtheoretischen Modell (mit seinem 6-monatigen Referenzzeitraum) wird im BSM kein zeitlicher Rahmen als Definitionskriterium gesetzt. Das Stadium der Kontemplation ist vergleichbar mit der prädezisionalen Motivationsphase des Rubikonmodells. Menschen in der Kontemplationsphase befinden sich in einer realitätsorientierten Bewusstseinslage: Es geht um das Abwägen der möglichen Folgen des eigenen sportlichen Engagements. Die Person ist relativ offen für neue Informationen sowohl was die Kosten als auch was den Nutzen eines solchen Engagements anbelangt. Hat die Person sich entschlossen, eine bestimmte Sportaktivität regelmäßig ausüben zu wollen, dann gelangt sie damit in das von uns neu postulierte Stadium der Disposition. Zentrales Merkmal der Dispositionsphase ist das Vorliegen einer »Zielintention« im Sinne von Gollwitzer und Malzacher (1996), etwa von der Form »Ich habe mich entschlossen, regelmäßig Schwimmen zu gehen«. Diese Zielintention ist das kognitive Ergebnis der vorangegangenen Kontemplationsphase des Abwägens und Auswählens. Im Stadium der Disposition hat die Person zunächst nur eine Art Grundsatzentscheidung getroffen, nämlich im obigen Beispiel »regelmäßig Schwimmen zu gehen«. Die Details der Handlungsrealisierung sind noch nicht festgelegt. Trotzdem befindet sich die Person in einer veränderten Bewusstseinslage, die jetzt nicht mehr wie zuvor realitäts-, sondern realisierungsorientiert ist (Gollwitzer, 1996). Die prinzipielle Entscheidung ist getroffen; es geht jetzt nicht mehr um das Ob-Überhaupt, sondern vorrangig um das Wie des Handlungsvollzugs.
Stehen die Modalitäten der Handlungsrealisierung bereits fest, dann soll dem Modell zufolge vom Stadium der Präaktion gesprochen werden (Abbildung). Aus der bislang nur vagen Zielintention ist eine präzisere »Realisierungsintention« (Gollwitzer & Malzacher, 1996) hervorgegangen. Die Person hat sich jetzt festgelegt, welche Sportart sie betreiben will (falls dies nicht schon Bestandteil der Zielintention war), hat u.U. den Aufnahmeantrag für den betreffenden Verein gestellt, dort einen Kurs ausgewählt, sich bereits angemeldet und weiß auch schon genau, wann und wo es losgehen wird. Kommt es schließlich auf der Grundlage einer solchen Realisierungsintention zur Initiierung einer Sporthandlung, so gelangt die Person in das Stadium der Implementierung. Die neue Handlung wird erstmalig ausprobiert und schrittweise auf die Bedingungen des Alltags abgestimmt. Im Rubikonmodell entspricht dies dem Einstieg in die »aktionale Volitionsphase«. Während der Implementierung geht es darum, auf der Grundlage der Zielintention und der darauf aufbauenden Realisierungsintentionen die vorgenommene Sporthandlung unter den gegebenen situativen Umständen in die Tat umzusetzen. Die Sportaktivität muss auf andere Energie beanspruchende und zeitliche Anforderungen abgestimmt werden und erlangt Stabilität vor allem durch den Einsatz metakognitiver Abschirm- und Selbstkontrollstrategien (vgl. dazu auch das Konzept der »Intentionsabschirmung« bei Nitsch, 1986, S. 255). Die Grenzziehung zwischen dem Stadium der Implementierung und dem nachfolgenden Stadium der Habituation gestaltet sich besonders schwierig. Von habitualisiertem Sportverhalten wollen wir immer dann sprechen, wenn es der Person gelungen ist, die Handlung – trotz immer wieder auftretender Barrieren – in den Alltag fest zu integrieren; wenn diese Handlung zu einer Verhaltensroutine geworden ist, die sich gegenüber konkurrierenden Handlungsalternativen im Regelfall durchzusetzen vermag; und wenn mit dieser Routine ein fester Set von Ausführungsvorschriften verknüpft ist, die mit den »Störgrößen des Alltags« (z.B. überraschender Besuch) stabil in der Zielsetzung und trotzdem flexibel in der aktuellen Handhabung umzugehen wissen. Es ist also die besondere Tiefenstruktur einer Handlung, die diese zur Gewohnheit macht, und nicht der bloße Beobachtungssachverhalt, dass eine Handlung schon über Monate hinweg mit Regelmäßigkeit ausgeführt wird.
Es gibt eine Form des sportlichen Engagements, die so unregelmäßig ist, dass man einerseits nicht von fester Gewohnheit, andererseits aber auch nicht mehr von Prozessen der Implementierung sprechen kann. Solches nur sporadisch, nur gelegentlich, manchmal massiert, dann wieder über längere Zeit überhaupt nicht praktizierte Sportverhalten wird von uns dem Stadium der Fluktuation zugerechnet (Abbildung). Äußeres Kennzeichen dieses Stadiums ist der fehlende gleich bleibende (wöchentliche) Rhythmus im Auftreten der Sportaktivität. Was die kognitive Tiefenstruktur eines solchen instabilen Verhaltens anbelangt, so ist zu vermuten, dass die von der Person eingesetzten volitionalen Prozesse der Handlungskontrolle (Aktivierungskontrolle, Impulskontrolle usw.) nicht ausreichen, um die Realisierung der Sportintention auch unter widrigen Umständen zu gewährleisten, dass das Sportverhalten nicht genügend gegenüber attraktiven Handlungsalternativen abgeschirmt werden kann und dass es u.U. zu stark unter der Kontrolle situativer Parameter belassen wird. Ein fluktuierendes Sportverhalten kann mit der Zeit regelmäßigere Züge annehmen und damit zur Gewohnheit werden; es kann sich aber auch so weit destabilisieren, dass es gar nicht mehr ausgeführt wird. Es kommt zum Abbruch der Sportaktivität. Dieser tritt nicht immer als klare Zäsur in Erscheinung (wie z.B. »Ich habe mich entschlossen, den Fitnesskurs nicht länger zu besuchen«), sondern hat oft die Form eines sich hinziehenden Prozesses des schrittweisen, vielfach auch uneingestandenen Disengagements. Der Abbruch selbst ist kein eigenes Handlungsstadium, sondern nur der Endpunkt eines solchen. Nach dem Abbruch der Sportaktivität kehrt die Person entweder in die prädezisionalen Stadien der Kontemplation und Präkontemplation zurück oder sie verbleibt »jenseits des Rubikon« in einer postdezisionalen Bewusstseinslage. Für diesen zweiten Fall postuliert das BSM die Existenz eines eigenen Stadiums, das wir als das Stadium der Resumption bezeichnen wollen. Dieses ist dem Stadium der Disposition recht ähnlich: Die Person hat sich grundsätzlich entschieden, die alte (d.h. abgebrochene) Sportart wieder aufnehmen zu wollen und hat eine entsprechende Zielintention ausgeprägt, etwa von der Art »Wenn ich etwas mehr Zeit habe, fange ich mit der Gymnastik wieder an«. Das ist zunächst wieder nur eine recht allgemeine Absichtsbekundung, eben eine Zielintention sensu Gollwitzer und Malzacher (1996), die der weiteren Präzisierung durch eine korrespondierende Realisierungsintention bedarf, um handlungsrelevant zu werden. Im Unterschied zur Dispositionsphase handelt es sich aber im Stadium der Resumption um Zielintentionen, die sich auf eine schon praktizierte Sportaktivität beziehen, mit deren Ausführungsmodalitäten die Person bereits eigene Erfahrungen gesammelt hat. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Personen im Resumptionsstadium bspw. um die zu erwartenden Handlungsbarrieren sehr viel genauer Bescheid wissen als jene im Dispositionsstadium.
Messung der sportbezogenen Stadien
Zur Messung der sportbezogenen Stadienzugehörigkeit nach dem BSM wurde von Fuchs (2001) der so genannte FDS (Fragebogen zur sportbezogenen Stadiendiagnostik) vorgestellt. Dieses Instrument basiert auf 21 Items und erlaubt die Zuordnung einer jeden Person zu einem der acht im BSM postulierten Stadien. Bei vielen Items des BSM handelt es sich jedoch um Filterfragen, weshalb es beim Ausfüllen des FDS oft zu Missverständnissen bzw. Fehlern kam (Fehlerquote: ca. bei 10%). Aus diesem Grund wurde in den letzten Jahren von uns eine andere Form der Stadiendiagnostik entwickelt, nämlich das sogenannte „Stadien-Flussdiagramm“ für den Bereich der Sportaktivität (kurz: „SFD-Sport“). Hier kann durch die graphische Darstellung des Fragen-Algorithmus auf eine Verwendung der fehleranfälligen Filterfragentechnik verzichtet werden. Erste Erprobungen des Messinstruments haben die gute Brauchbarkeit des SFD-Sport für die Stadiendiagnostik in der Praxis belegt.
Unser Service für Sie!
Leser dieser Zeilen, die an einer Anwendung des „SFD-Sport“ in der eigenen Forschung interessiert sind, sind dazu herzlich eingeladen. Sie finden hier:
1. den SFD-Sport als Fragebogen
2. die SPSS-Syntax zur Auswertung des SFD-Sport
3. die in dieser Syntax verwendeten Variablen-Bezeichnungen
Für weitergehende Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Bitte informieren Sie uns über Ihre Erfahrungen und Ergebnisse mit dem SFD-Sport.
Viel Erfolg!